Amanda Simpson - Lindas Zimmerdschungel

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Amanda Simpson


Am Dienstag trat im amerikanischen Handelsministerium ohne viel Aufsehen eine Beamtin ihren Job an, die sich schon jetzt rühmen darf, mehr aus sich gemacht zu haben als ihre Kolleginnen: Amanda Simpson (49) war bis vor zehn Jahren Mitchell Simpson, Mann und Top Gun. Der militärische Testpilot und Direktor bei dem Raketenhersteller Raytheon Missile Systems in Tucson fühlte sich nie wohl in seiner Männerhaut. Nach einer Geschlechtsumwandlung ist Amanda Simpson die höchstrangige Transsexuelle, die ein US-Präsident je (wissentlich) ernannt hat.
 
"Ich hoffe, dass ich die Erste von Hunderten bin", notierte sie in einer Pressemitteilung. "Wenn meine Berufung und Sichtbarkeit in der Bundesregierung dazu beitragen kann, die Ansichten einiger Leute zu ändern, und anderen hilft, Jobs zu sichern, die sie früher nie bekamen, bin ich entzückt." Sie fühle sich viel wohler in ihrer Identität als je zuvor, "ich habe ein Leben lang damit gerungen". Simpson hat einen Universitätsabschluss in Physik, Ingenieurwissenschaften und Betriebswirtschaft. Im Ministerium soll sie im "Büro für Industrie und Sicherheit" amerikanische Produkte mit sogenannter Dual-Use-Technologie prüfen, die zu militärischen Zwecken missbraucht werden könnten. An ihrer Qualifikation hat der Präsident keinen Zweifel. Um so mehr verabscheut die Religiöse Rechte, die ihre Nächstenliebe geschickt verbirgt, Amanda Simpsons Berufung.

"Gibt es jetzt eine Transsexuellenquote in der Obama-Regierung?", fragt Pater Labarbera, Präsident der Anti-Schwulen-Organisation "Amerikaner für Wahrheit". "Wie weit will es diese Regierung noch treiben? Klar ist, dass sie sich an die Schwulenlobby heranwanzt." Auch andere moralisch empfindsame Patrioten, etwa von der Gruppe "Fokus auf die Familie" sind überzeugt, dass Simpsons Berufung eine abgestattete Dankesschuld Barack Obamas "an seine linksextreme Basis" darstellt. Matt Barber von der rechtskonservativen Liberty University "kann es nicht fassen". Anders als Schwarze, die diskriminiert wurden, verdienten Transsexuelle keine ausgleichende Rücksichtnahme. Und David Brody vom "Christian Broadcasting System" warnt den Präsidenten: "Ich verstehe, dass Obama 2012 nicht harte konservative Evangelikale gewinnen möchte, aber auch bei Katholiken wird 'die transsexuelle Sache' nicht gut ankommen."

Das ist möglich. Vielleicht ist die "Sache" längst vergessen, bis das Wahljahr 2012 anbricht. Amanda Simpson ist mit allen Vorbehalten auf das Engste vertraut: "Es wird Fragen geben wie: Ist dies nur eine symbolische Geste? Bist du hier, um einen Job zu machen oder nur, um eine Quote zu erfüllen oder andere Leute zu beschwichtigen?" In dieser Beziehung sei ihr Arbeitsleben komplizierter. "Ich bin sicher, dass ich weit mehr leisten muss als jeder andere und habe das auch vor. Man wird immer Zweifel an mir haben." Die Avantgarde der Transsexuellen in der US-Bundesregierung zu bilden, behagt ihr nicht sonderlich: "Es macht keinen Spaß (,it sucks'), aber ich bin qualifiziert und habe Barrieren an vielen Orten durchbrochen. Es gelingt mir immer, Menschen durch das, was ich tue, und durch meine Person einzunehmen."

Während Amanda Simpson in diesen Tagen aus begreiflichen Gründen keine Einzelheiten zu ihrer schmerzhaften Frauwerdung preisgibt, war sie in einem Interview mit dem "Arizona Daily Star" Ende Juni 2002 umso offener. Mehr als 70000 Dollar für sechs Operationen hatte es sich Mitchell Simpson kosten lassen, Amanda, "die zu Liebende", und Renae, "die neu Beginnende", zu werden. Er ließ seinen Adamsapfel entfernen, einen Busen formen, seine Lippen aufwerfen und unterzog sich komplizierter genitaler Chirurgie. Mehr als 250 Stunden verbrachte er bei einem Hautarzt, der ihm die Barthaare verödete; unter dem Make-up, fand damals ein Beobachter, könne man bei genauem Hinsehen die Narben der Behandlung entdecken. Mitchell wuchs mit drei Brüdern in einer frommen jüdischen Familie in Kalifornien auf. Mitchells Mutter, die in Los Angeles lebt, brauchte lange, bis sie Amanda verzieh. Heute tauschen die beiden Schminktipps aus, und ihre Mutter genießt es, noch eine Frau in der Familie zu haben.

An den 1,75 Meter Körpergröße, muskulösen Beinen, der Schuhgröße 42 und den großen Händen kann Amanda nichts ändern. Ihr blendendes Lächeln, die (fast zu perfekt gelegten) blonden Haare, ihr betont weiblicher Gang und eine in Dutzenden Übungsstunden bei Logopäden höher und weicher geformte Stimme sind umso elaborierter. Sie ist, anders als Mitchell, ganz und gar ihre eigene Schöpfung. Dabei will sie nichts sehnlicher als in ein weibliches Leben einzutauchen: "Wir Transsexuellen sind normale Menschen, die ein normales Leben führen wollen." Ihr heute 14 Jahre alter Sohn, der seine Mutter liebt wie früher seinen Vater, gibt Simpson Normalität.

Es half, dass die Universitätsstadt Tucson ein liberales Pflaster ist. Es war 1999 die erste Stadt in Arizona, die "Geschlechtsidentität" in ihr Diskriminierungsverbot aufnahm. "Wingspan", das Zentrum für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle, hat eine Menge Einfluss in Tucson. Washington wird anders sein für "die zu Liebende", rauer, kälter vielleicht.


Quelle: TGInfo 176,  2010-01-16 unter Bezugnahme auf www.welt.de und www.20min.ch

 
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