Die Geburt einer Insel - Lindas Zimmerdschungel

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Die Geburt einer Insel

Ein seltenes und faszinierendes Ereignis: Wie Phönix aus der Asche erhob sich vor einigen Wochen plötzlich eine Vulkan-Insel aus dem Pazifik. Nun studieren Geologen, ob sich das Neuland im Ozean behaupten kann.

Nuku'alofa - Man solle nicht an einem Freitag in See stechen, lautet eine alte Seglerweisheit. Der Spruch war das Erste, was Kapitän Fredrik Fransson in den Sinn kam, als er sich mit seiner Yacht Maiken am Freitag, dem 11. August 2006, mitten im Pazifik in einem kilometerbreiten Teppich schwimmender Bimssteine und Asche gefangen sah. Das schmierige Zeug verstopfte die Kühlung des Schiffsmotors, der darob zu überhitzen drohte. Und es herrschte Flaute. Fransson und seine Crew schafften es gerade noch, dem Geröllteppich zu entkommen. Am nächsten Morgen entdeckten sie die Quelle dafür: eine dampfende Vulkaninsel. Und zwar dort, wo zuvor keine war.

Neues "Home Reef"
Die Insel musste sich soeben aus dem Meer erhoben haben, denn in der Seekarte war sie nicht verzeichnet. Aus einem von vier Gipfeln umgebenen Krater schossen Asche und Gestein. Erst jetzt, nachdem das Abenteuer der schwedischen Segler bekannt wurde, bestätigen Forscher, dass im Südpazifik nahe Tonga tatsächlich eine neue Insel entstanden ist. Ob sie sich wie ihre Nachbarinseln zu einem Tropenparadies entwickelt und besiedelt werden kann, ist allerdings ungewiss.

Die US-Weltraumbehörde Nasa hat nun Satellitenbilder der "Home Reef" genannten Insel veröffentlicht. Der Vulkan hatte sich schon 1984 und 2004 über die Meeresoberfläche erhoben, war jedoch beide Male nach einigen Monaten vom Wasser wieder abgetragen und verschluckt worden. Doch vielleicht überlebt die Insel diesmal. Tonga jedenfalls könnte Neuland gut gebrauchen. Zwar umfasst das Königreich 169 Inseln, doch sie verfügen zusammen nur über die doppelte Fläche Wiens - wenig für einen Staat, der fast zur Hälfte von Landwirtschaft lebt. Auch als weitere Touristenattraktion käme eine neue Insel gerade recht.

Untermeerische Vulkane
Alle Tonga-Inseln verdanken ihr Dasein dem Vulkanismus: Unter dem Südpazifik ruckelt die Pazifische Erdplatte mit drei Millimetern pro Woche unter die Indisch-Australische Platte, wobei regelmäßig die Erde bebt. Die Nahtzone markiert der knapp elf Kilometer tiefe Tongagraben. Die mit Meerwasser durchtränkte Pazifische Platte wird in der Tiefe unter hohem Druck ausgequetscht und verliert dabei ihr Wasser, es quillt empor und bringt das darüber liegende rund 1000 Grad Celsius heiße Gestein zum Schmelzen. Die heiße, zähflüssige Masse ist leichter als das umliegende Gestein und steigt auf - untermeerische Vulkane entstehen.
Wenige dieser Berge wachsen aber über die Wasseroberfläche, sodass Inseln entstehen. Und wenn doch, ist das Ende der meisten jungen Vulkaninseln meist besiegelt, sobald die vulkanische Aktivität nachlässt. Der Magma-Nachschub bricht ab, die Insel wird vom Ozean ausgewaschen. Un-ter Wasser wachsen auf den Vulkanen dann häufig Korallen. Wie weiße Kronen leuchten diese Atolle im Meer. Viele Seefahrergeschichten berichten davon, wie Segler zu neu entdeckten Inseln aufbrachen und sie vergeblich suchten. Manches Eiland wurde gar voreilig als Militärstützpunkt in Besitz genommen. 1831 etwa hisste Ferdinand II., König Neapels und beider Sizilien, die Flagge seines Landes auf einer Insel, die sich Wochen zuvor im Mittelmeer zwischen Afrika und Sizilien erhoben hatte. Doch nur ein halbes Jahr später war Graham Island mitsamt der Flagge versunken.

Wie Leben steriles Land erobert
Manche Insel jedoch hält sich: Am 14. November 1963 entdeckte die Besatzung eines Fischkutters 35 Kilometer vor Island einen Glut und Asche speienden Vulkan. Am nächsten Morgen war eine kleine Insel entstanden - Surtsey. Sie wurde zum Sperrgebiet: Wissenschafter erkundeten, wie Leben steriles Land erobert.

Sollte Home Reef Bestand haben, wird sich ihr Boden den Surtsey-Studien zufolge in wenigen Jahren verfestigt haben. Die Zementierung von Vulkanasche dauert lediglich 15 und nicht - wie vor Surtsey vermutet - viele hundert Jahre. Und nicht Pflanzen siedelten sich zuerst an, sondern Fleischfresser: Spinnen etwa gelangen auf Treibholz zur Insel und ihre Nahrung, Insekten, ebenfalls. Bevor einfache Pflanzen wie Moose wachsen, keimen die Salzmieren. Auch ihr Samen treibt im Wasser.

Einen Schub lösen Möwen aus, die sich später einnisten. Ihre Exkremente düngen den Boden. Auch bringen sie im Gefieder weitere Pflanzensamen und Bodentiere mit. Derart könnte Home Reef zu einem grünen Tropenparadies werden. Doch noch hält sich in Tonga die Freude über den Landzuwachs in Grenzen: Aller Dynamik zum Trotz werde Home Reef vermutlich keinen Bestand haben, erklärte Geologe David Tappin in Tongas Hauptstadt Nuku'alofa. Der Vulkanismus habe sich geändert, weshalb es neue Inseln schwer hätten, zu überdauern.

Was Kapitän Fredrik Fransson gelassen hinnimmt. Er genießt sein Segelabenteuer. "Denn", sagte er, "wer entdeckt heute noch eine Insel?"

(Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.11. 2006)

 
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