Kann Essen Sünde sein? - Lindas Zimmerdschungel

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

my little world > Texte


Kann Essen Sünde sein?

Weit, weit weg, auf einer kleinen Insel am anderen Ende der Welt befindet sich das Paradies. Palmen, Strand,Meer, Sonne, frische Kokosnussmilch und vor allem - Dick sein ist hier schön!

JULIA SOBIESZEK


Die Rede ist vom Königreich Tonga, einer kleinen Inselgruppe mitten im Pazifik. Die Südsee-Inseln sind eine Monarchie und wurden als einziger Staat in Ozeanien nie kolonialisiert. Vielleicht ist das ein Grund, warum die westlichen Schönheitsideale dort nur Kopfschütteln verursachen. Hier gilt: Je dicker, desto schöner! Lange Zeit galt der bereits verstorbene König Taufa'ahau Tupou IV. mit Abstand als der schönste Mann Tongas, er brachte immerhin 210 Kilogramm auf die Waage. 1976 hatte er sich als "Dickster Monarch der Welt" im Guinness Buch der Rekorde verewigt.

Dick ist hier gleichbedeutend mit einflussreich, erfolgreich und wohlhabend. Der Dicke ist der Chef! Jemand, der dick ist, gilt in Tonga nicht als krank, sondern als angesehen, weil er Nahrung von anderen
als Geschenk bekommt. "Krank" finden die Tonganer Menschen, die so mager sind, dass man die Knochen
sieht. Kate Moss & Co. würden in Tonga wohl in die Irrenanstalt eingeliefert. Doch wer glaubt, mit "dick" ist Kleidergröße 42 gemeint, der irrt. "50 +" trägt man hier mit stolzgeschwellter Brust (100 DD) und die Füße (vor allem bei Männern) stecken vorwiegend in Flip-Flops in Klodeckelgröße. Doch die meisten tragen ohnehin die traditionellen Bastmatten auf den üppigen Hüften, Frauen wie Männer. Diese sind auch Teil der Uniform des Inselstaates.

Essen ist in Tonga nicht nur Statussymbol, Essen ist ALLES! Die Menschen in Tonga essen gern viel und auch sehr kalorienreich. Auf den Tisch kommen zwar auch Fisch, Obst und Gemüse - die Tonganer kennen über hundert wilde Gemüsearten -, aber gekocht wird sehr fett mit außergewöhnlich
viel Kokosöl. Häufig sind Süßkartoffeln, Yams und Taro (auch kartoffelähnliche Knollen) die Beilagen, die als Gratin oder Auflauf serviert werden. Eine der Landesspezialitäten ist "Umu", ein im Erdofen gegartes Ferkel. Das dauert zwar Stunden, aber eilig haben es Tonganer ohnedies nicht, im Gegenteil. Stress
passt nicht ins Lebenskonzept.

Gemeinsames Essen gehört in Tonga zur Kultur. Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, wird groß aufgetischt. Wenn gekocht wird, dann gleich so viel, dass die ganze Familie, Freunde und Nachbarn mitessen können. Vor allem Feste haben es den Tonganern angetan: Hochzeiten und Begräbnisse sind der Klassiker, aber auch sonst finden Tonganer genug Gelegenheiten zu feiern und zu essen. Die Bevölkerung
ist zwar arm - die Königsfamilie und einige wenige Adelige überraschenderweise nicht -, aber beim Feiern wird in Tonga nun einmal zuletzt gespart.

Wie wichtig den Menschen in Tonga ihr Essen ist, kann man auch daran erkennen, dass auf den  Rückseiten ihrer Münzen kulinarische Spezialitäten abgebildet sind: Tomaten, Bananen, Yams, Taro, Vanille oder Kokosnüsse; darunter steht "Fakalahi Me'akai" - das heißt übrigens so viel wie "Mehr Essen".

Trotz ihrer Leibesfülle waren die typischen Fettleibigkeitskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Herzprobleme nie ein wirkliches Problem bei den Polynesiern. Erst durch den Kontakt mit der westlichen Welt und der Einführung der westlichen "Genuss"-Mittel wie Tabak, Dosenfleisch, gesüßte Getränke und ähnliches traten diese Krankheiten gehäuft auf. Ein Grund, warum in den frühen 1990ern der damalige König Taufa'ahau Tupou IV. eine Kampagne gegen Übergewicht startete. Das ist notwendig geworden,
weil 58 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen einen Body-Mass-Index von weit über 30 aufwiesen. In Europa gilt ein BMI bis 25 als normal. Der König initiierte einen Wettbewerb, bei dem der
Tonganer mit der größten Gewichtsreduktion 500 Dollar gewann.

Auch der König selbst sah sich im Rahmen dieser Kampagne genötigt abzunehmen. Von 210 Kilo speckte er kurzfristig sogar auf 70 Kilogramm ab. Abgenommen hatte er auch durch ein Bewegungsprogramm,
das Radfahren einschloss. Da Tonga aber keine wirklichen radtauglichen Straßen hatte, ließ der gewiefte Monarch kurzerhand den Flughafen sperren, um so die Start- und Landebahn gemütlich rauf und runter radeln zu können.


Quelle: Salzburger Nachrichten, Kulinarium, 9. Jänner 2010

 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü